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news >> 2010 >> 101130_01

30.11.2010

Angehöriger der Templiner rechten Szene vor Gericht

"Irgendwann sagte er zwei böse Wörter"

Prenzlau (ipr) Vergangenen Freitag fand vor dem Jugendschöffengericht in Prenzlau der zweite Prozesstag gegen den 20-jährigen Templiner Steven W. statt. Ihm wird vorgeworfen am 2. Oktober 2009 in einer Templiner Wohnung Polizeibeamte beleidigt, einen gezielt getreten und "Sieg Heil" gerufen zu haben.

Am ersten Prozesstag hatte sich das Jugendschöffengericht mit der Personalienfeststellung des Angeklagten und der Verlesung der Anklageschrift begnügen müssen. Vor acht Tagen hatte sich der Angeklagte auch aussagebereit gezeigt. Vergangenen Freitag sah das wieder anders aus. Mit dem neuen Anwalt von Steven W., der sich vor Gericht präsentierte, schwand auch die Aussagebereitschaft von dessen Mandanten. Steven W. wurde aus Haft zur Verhandlung vorgeführt. Dort befindet er sich wegen verschiedener Körperverletzungsdelikte seit April diesen Jahres.

Am Freitag galt es, sieben Zeugen zu vernehmen, vier Polizisten, die eigentlich nur eine Ruhestörung beenden wollten und drei junge Menschen, die gemeinsam mit Steven W. an jenem Abend getrunken, geredet und "Landser" gehört hatten.

Vier Polizisten, vier Versionen

Nachdem die vier Polizeizeugen vor Gericht ausgesagt, der Richter sie intensiv befragt und der Anwalt akribisch nachgefragt hatte, bekam der Betrachter den Eindruck, dass die Anklage nur noch auf tönernen Füßen stand. Es gab einen Anruf "ruhestörender Lärm" in einem Haus in der Berliner Straße an der Templiner Stadtmauer. Zwei Beamte in Zivil machten sich auf zum Ort des Lärms, bestätigten diesen und forderten zwei weitere, uniformierte Beamte an. Fragen wie: Wo befand sich das Fenster durch das der Lärm drang? War es geöffnet? Wie sind sie in die Wohnung gekommen? Wer hat die Tür geöffnet? Welcher Beamte hat geklingelt. Schritten die uniformierten oder die zivilen Polizisten voran? War die Musik schon aus als Sie die Wohnung betraten. Wo befand sich welche Person im Zimmer. Wer hat was gesagt? Fielen die Worte "Sieg Heil" oder "Heil Hitler"? Fielen die Worte "Was willst du Idiot, du Blödmann?" Haben Sie gesehen, dass Steven W. diese Worte gerufen hatte? Oder haben Sie es nur gehört? Gab es einen Atemalkoholtest? Und wer hat den gemacht? Und so weiter. Fragen, die von den vier Beamten gar nicht, unvollständig oder nur widersprüchlich beantwortet werden konnten. Der Anwalt leistete gute Arbeit für seinen Mandanten und verunsicherte durch sein stetiges Nachfragen die Polizisten im Zeugenstand.

Trotzdem schälte sich heraus: Drei Beamte hatten gehört, dass Steven W. "Sieg Heil" rief. Einer will es zusätzlich gesehen haben, gab aber dafür eine von anderen Aussagen abweichende Position des Angeklagten im Raum an. Steven W. wurde nach dem Ruf in Handschellen von zwei Beamten in den Flur geführt. Es entstand im Wohnzimmer ein kleiner Tumult, der einen der abrückenden Beamten sich umdrehen ließ. Der zweite Beamte will gesehen haben wie sich Steven W. nach vorn beugte und gezielt gegen seinen Kollegen nach hinten austrat. Den Volltreffer konnte er nur durch ein Schubsen des Angeklagten verhindern. Der leicht getroffenen Beamte spürte den Tritt, sah aber beim Umdrehen nur wie der Angeklagte seinen Fuß absetzte.

Klar ist allerdings, dass die vier Personen im Wohnzimmer indizierte Nazi-Musik der kriminellen Vereinigung "Landser" gehört hatten. Was aber wiederum nicht Gegenstand des Besuches war. Zwei Beamte bestätigten, dass Steven W. im Krankenhaus vor der Blutentnahme zur Alkoholkontrolle erneut "Sieg Heil" gerufen hatte. Da in dem Raum niemand weiter anwesend war, wird man das schwer als Öffentlichkeit werten können.

Die ehemaligen Freunde


Als sie noch ein Paar waren. Sarita R. und Patrick S. in Gedenken
an den Nazi-Verbrecher Rudolf Hessscreenshot: ipr

Die 17-jährige Schülerin Sarita R. machte auf naiv und gab vor, sich nicht mehr erinnern zu können. Eine Ruhestörung konnte sie sich gar nicht vorstellen. Der Jugendrichter wollte das nicht so stehen lassen und las aus ihrer Aussage bei der Polizei kurz nach dem Vorfall vor: "Irgendwann sagte er zwei böse Wörter, die Parole 'Sieg Heil'", hieß es da. Dieser Vorhalt ließ die Templinerin klein beigeben und machte die gesamte bisherige Anwaltsstrategie zunichte, da sie als zudem einzig nüchterne Teilnehmerin jenes Abends den Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen bestätigte.

Ähnlich erging es der damaligen Wohnungsmieterin und ehemaligen Freundin des Angeklagten, der 20-jährigen Julia K. Auch sie beschrieb einen eher ruhigen Abend. Auch sie musste auf das eindringliche Fragen des Richters hin zugeben, dass sie entweder "Sieg Heil" oder "Heil Hitler" aus dem Munde von Steven W. vernommen hatte. Und sie gab zu, dass sie diese Worte auch zu anderen Anlässen von dem Angeklagten gehört hatte.

Patrick S. (22), der damalige Freund von Sarita R., versuchte es auf die kumpelhafte Tour und tat, als habe er nichts mitbekommen. Die Polizisten hatten ihm einen Platzverweis erteilt, aber er hatte sein Bier noch austrinken wollen. Darüber war er so heftig mit den Beamten am Diskutieren, dass er von den Vorgängen um sich herum nichts mitbekommen habe.

Dass dies nicht so ganz stimmte, dass er in Wirklichkeit doch aggressiver zu Werke gegangen sein muss, darauf weist ein Strafbefehl über 600 Euro hin, den ihm dieser Abend bereits eingebracht hatte. Er muss über den Hausbesuch der vier Polizisten so erregt gewesen sein, dass er über zwei namentlich von ihm benannte aber nicht anwesende Polizeibeamte sagte, dass die sowieso Arschlöcher seien. Bei einer späteren Anhörung soll er davon auch nicht abgerückt sein. Er gab zu, was nicht zu leugnen war, dass man an jenem Abend Rechtsrock hörte und bestätigte, dass sowohl der Angeklagte als auch er zur rechten Szene in Templin gehörten. "Aber nicht extrem", ergänzte er noch.

Der Angeklagte

Nach der Mittagspause, noch hatten nicht alle Polizeibeamte ihre Zeugenbefragung hinter sich gebracht, meldete sich Steven W. zu Wort. Möglicherweise wollte er die Widersprüchlichkeit in den Aussagen der Polizeizeugen ausnutzen, um für seine Version dieses Abends beim Richter und den Schöffen Gehör zu finden. Er habe nicht "Sieg Heil" sondern nur "Sieg" gerufen. Er habe die Polizisten beleidigt. Er habe etwas mit "Vogel" gesagt. Genaueres wisse er nicht mehr. Er habe den Beamten mit dem Fuß berührt. Er werde, wenn er was getrunken habe, immer so zappelig. Er habe sich von Patrick verabschieden wollen, und da er die Hände gefesselt hatte, musste er dafür seinen Fuß nehmen.

Am Nikolaustag wird der Prozess fortgesetzt. Man darf gespannt sein, ob das Schöffengericht Milde walten lässt oder die Rute auspackt.



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