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news >> 2024 >> 240515_01

15.05.2024

Nazi-Devotionalienhändler in U-Haft

Berufung vor dem Landgericht zurückgezogen

Prenzlau (ipr) Am Montag endete vor dem Landgericht Neuruppin eines der längsten juristischen Verfahren im Bereich politisch motivierte Kriminalität, das die Uckermark je erlebt hat. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der angeklagte Nazi-Devotionalienhändler Udo W. zogen ihre Berufung gegen ein Urteil des Amtsgericht Prenzlau aus dem Februar 2020 zurück. Zuerst berichteten der Nordkurier und die Märkische Oderzeitung über den Berufungsprozess.

Damals war Udo W. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in 39 Fällen zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt worden, die auf drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden waren. Mit dem Zurückziehen der Berufung endet ein Verfahren, das mehrere Neuauflagen erlebte und dessen erster Prozesstag vor dem Prenzlauer Schöffengericht vor über 11 Jahren am 29.10.2012 stattfand.

Der Berufungsprozess war möglich geworden, weil Udo W. Anfang April von der spanischen Justiz an die Bundespolizei in Frankfurt am Main übergeben worden war. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft.


Udo W. in einer Gerichtspause am 18.03.2015foto: ipr

Grundlage dafür war ein Haftbefehl des Amtsgerichts Prenzlau vom 10.08.2022. Udo W. war zu einem weiteren Prozess wegen Nazi-Devotionalienhandels mehrfach nicht erschienen. Seinen Online-Shop „reichsversand.com“ betrieb er von Spanien aus. Der Shop ist als „reichversand.net“ auch heute noch online. Als markante und zynische Produkte findet man dort schwarze Bettwäsche mit Sigrunen und die "Zyklon B Erdnüsse" für 6,95 Eur.

Der neue Prozess um „reichsversand.com“ sollte innerhalb der nächsten vier Monate vor dem Schöffengericht in Prenzlau beginnen. Spannend wird es für Udo W. sollte die Staatsanwaltschaft inzwischen die Aufhebung der Bewährung wegen des ununterbrochenen Devotionalienhandels beantragen.

Chronologie

Die Ermittlungen des Landeskri-minalamtes (LKA) begannen 2007. Ein Informant aus der Nazi-Szene hatte dem LKA einen Katalog mit Nazi-Devotionalien zugespielt. Während der Ermittlungen identifizierten die Beamten 650 Kunden des Händlers. Die Preise für die Repliken reichten von 10 bis 45 Euro pro Stück. Die Gelder flossen auf Bankkonten in Görlitz, Gera und Potsdam. Der leitende Ermittler des LKA sprach vor Gericht von einer sechsstelligen Summe, die während der Ermittlungen auf diversen Konten entdeckt worden waren. Das Geld ist allerdings verschwunden.

Im Oktober 2009 informiert die Staatsanwaltschaft in Neuruppin die Öffentlichkeit über Hausdurchsuchungen in sieben Objekten in Templin und in der Gemeinde Boitzenburger Land. Als Hauptbeschuldigter galt damals schon Udo W. Er stand im Verdacht mit seinen Komplizen seit 2004 in erheblichem Umfang den illegalen Handel mit aus der Republik Polen importierten Devotionalien aus der NS-Zeit betrieben zu haben.

Der damals 38-Jährige sollte sogar als Geschäftsführer und Gesellschafter einer polnischen Firma die Repliken zunächst selbst hergestellt haben. Seit der Insolvenz dieser Firma im Jahr 2006 sollten die Devotionalien dann von einer anderen polnischen Firma erworben worden sein.

Im September 2009 hatte das polnische Parlament mit einer Änderung des Strafgesetzbuches die Herstellung und den Verkauf von Gegenständen mit totalitärem Inhalt unter Strafe gestellt. Damit war der bis dahin legalen Produktion von NS Devotionalien und deren Export nach Deutschland ein Riegel vorgeschoben worden.


Aktuelles Angebot im Netz
screenshot: ipr

Erster Versuch

Im November 2011 wurde Anklage gegen Udo W. erhoben. Alle anderen Beschuldigten wurden durch die Ermittlungen entlastet. Ein Jahr später kam es zum Prozess. Das Gericht unterbreitete dem Angeklagten ein Verständigungsangebot. Das sah vor, dass der Angeklagte bei vollem Schuldeingeständnis mit einer Haftstrafe von einem Jahr davon gekommen wäre. Die wäre dann auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt worden.

Dieses Angebot wurde vom Angeklagten nicht angenommen. Dessen Anwalt schwebte eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen vor. Damit war der Prozess geplatzt.

Zweiter Versuch

Im März 2015 ging es dann weiter. Der Prozess begann mit drei Anträgen der Verteidigung auf Einstellung des Verfahrens. Einmal wegen Verschleppung des Prozesses, dann wegen Verjährung einzelner Delikte und unpräziser Anklageschrift. Alle drei Anträge wurden vom Gericht abgelehnt.


Zynisches Angebot im Netzscreenshot: ipr

Damals im Zeugenstand der Gründer und Leiter des Theaters Klosterruine Boitzenburg. Er und seine Familie waren ebenfalls von Hausdurchsuchungen betroffen gewesen. Er hatte Udo W. als Ein-Euro-Jobber in seinem Büro angestellt. Kurz darauf soll es zu massiven Kostensteigerungen bei den Internet- und Telefongebühren gekommen sein. Auch soll Udo W. die Identität des Theaterleiters im Netz für seine Geschäfte missbraucht haben. Er schilderte den Angeklagten als einen Rechten, der am Liebsten wieder in Polen einmarschieren würde.

Die folgenden Prozesstage platzen, weil Udo W. wegen Krankheit nicht erschien. Sein Verteidiger vermutete ihn in Spanien. Dem Vorsitzenden Richter platzte der Kragen. Er erließ einen Strafbefehl. Ein Jahr Haft, auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Das Amtsgericht verwarf einen Widerspruch dagegen. Das Landgericht kassierte später den Strafbefehl. Das Amtsgericht musste erneut verhandeln. Trotzdem war eines erreicht: Eine Verjährung der Taten ist ausgesetzt.

Dritter Versuch

Am Amtsgericht in Prenzlau wechseln die Strafrichter. Zwei davon fassen die Anklage "Udo W." nicht an. Erst im Oktober 2018 geht es weiter. Der dritte Versuch ging über 29 Prozesstage und endete diesen Montag mit erneuter Verurteilung. Den Gerichtssaal in Prenzlau hat Udo W. allerdings nie wieder betreten.


Udo W. als Olivenbauerscreenshot: ipr

Laut Anwalt soll sein Mandant mit Frau und vier Kindern in Spanien als Olivenbauer leben. Recherchen des rbb ergaben, dass er von dort aus mit ungültigen Bio-Zertifikaten Olivenöl in Bio- und Unverpacktläden in Deutschland angeboten haben soll. Auch in diesem Fall ermittelte die Staatsanwaltschaft Neuruppin. Das Verfahren ist vorläufig eingestellt worden hinsichtlicht der zu erwartenden Strafe im neuen Nazi-Devotionalienprozess.


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